zwischen mutter und erdung

von Simone Steger

würde ich zu deiner beerdigung gehen
wenn du morgen deine hättest?
frage ich blasslila wolken
die sich am himmel über mir auftürmen

 

ich vape eine wolke baldrian in die luft
und halte eine pro-und-contra-liste für eine gute idee

 

wer geht nicht zur beerdigung seiner mutter?
schreit der teil in mir
der wie meine oma klingt

 

andere würden sagen ich sei eine gute tochter
trotz allem
leute werden fragen und nicht zuhören

 

ich bette meine füße auf eine umgedrehte obstkiste
und betrachte das nasse laub in der ecke des balkons
es sieht so aus
wie ich mir das innere dieser frau vorstelle
die mich geboren hat

 

eine assel kriecht über die finger des ahornblatts
in der mitte klafft ein riesiges loch

 

kein fühlen der scham alleine zuhause
kein brennen an armen und beinen
der einfache weg

 

ich würde die lebenden leichen sehen
und müsste widerstehen
sie retten zu wollen

 

der baldrian ist weggesogen
ich lege eine neue kartusche ein
obwohl ich es mir ja abgewöhnen wollte

 

genauso wie das hoffen auf liebe
klagen übers wetter
lästern über den trauerflor der nachbarn

ich würde sehen
dass sie sich gar nicht verändert haben
und das würde mich traurig machen

 

vielleicht kann ich dem toten gesicht
mehr verzeihen als dem lebenden
und die last mit in die erde legen:
ich vergebe dir
dass du ein unsichtbares kind wolltest

 

ich nehme einen luftballon
und puste den dampf von minze-ananas in die gummihülle
bevor ich ihn mit dem wind tanzen lasse

 

ich könnte mit wanda hier sitzen
und ihr diesen text vorlesen
sie würde sagen
was für ne scheiße
es ist okay
dass du nicht weinen kannst
und mich in den arm nehmen