Marie Sophie und ich
von Barbara Heidling
Ich mach dich zur Schnecke,
du Schnecke!
Du lahme Kuh!
Du Lama!
Mach mal voran!
Schlaf nicht ein beim Gehen!
Mach Tempo!
Geh langsam –
und du findest immer wieder zu dir selbst.
Kalender-Spruch – soll weise sein.
Marie Sophie soll ich die Krankheit nennen,
Maria, die Weise,
meint mein Freund.
Als sei sie unsere neue beste Freundin.
Ich will sie nicht,
will nichts mit ihr zu tun haben.
Ich habe das Gleichgewicht verloren.
Ich kann mich doch nicht festhalten an ihr.
Ich bin aus dem Tritt geraten,
gefallen,
aus dem Tritt.
Ich bin jetzt behindert.
Ich bin jetzt ein Hindernis.
Liege blöd herum.
Stehe im Weg.
Behindere andere
beim schnellen Gehen, beim Machen,
beim Fortkommen, beim Voranschreiten.
Ich will mich festhalten.
Ich will mich aufrichten.
Ich muss mich festhalten.
Ich suche meine Balance,
drohe zu straucheln.
Ich will mich nicht festhalten
müssen.
Meine zu ertrinken.
Vernebelter Blick.
Dann doch
müssen.
Ich will doch leben.
Schritt für Schritt suchen
den Weg, nicht abstürzen.
Ich will mich beherrschen.
Ich muss mich beherrschen.
Ich will meinen Körper beherrschen.
Ich will mich nicht von der Lahmheit
beherrschen lassen.
Ich will herrschen.
Ich will frei sein.
Doch ich meine
ständig mich erklären zu müssen.
Ich erkläre mich ständig.
Ich erkläre mir ständig alles.
Ich erkläre mir das, was ich nicht verstehe.
Ich erkläre mir das, was ich nicht verstehen kann.
Ich erkläre mir, dass ich nicht alles verstehen muss.
Ich erkläre mir, warum ich nicht alles verstehen muss.
Ich erkläre mir, warum ich das alles nicht verstehen kann.
Ich erkläre anderen, warum ich das alles nicht verstehen kann.
Ich erkläre mir und anderen, was das alles ist.
Ich erkläre mir, dass das alles normal ist.
Ich erkläre, dass das alles nicht normal ist.
Ich verstehe alles.
Ich verstehe alles und jeden.
Ich verstehe, warum die anderen nicht verstehen.
Ich verstehe, warum die anderen nicht verstehen können.
Ich frage mich, warum die anderen nicht verstehen wollen oder können,
ob sie nicht wollen oder nicht können oder beides.
Aber ob sie sollten?
Ich verstehe nicht.
Ich verstehe gar nichts.
Ich verstehe, dass sie es nur gut meinen.
Ich will sie nicht brüskieren, weil
ich verstehe, dass sie es nur gut meinen.
Ich versuche zu erklären, dass
ich verstehe, dass sie es nur gut meinen.
Ich verstehe nicht, warum sie nicht verstehen, dass
ich nicht will, was sie von mir wollen, obwohl
sie nur mein Bestes wollen.
Sie sagen mir, dass ich nicht müssen muss.
Ich müsse wissen, dass man nie müssen müsse. Aber
man müsse wissen, was man wolle. Ob
man wolle oder nicht. Das müsse
man einfach wissen.
Weise werde ich wann?
Einen Weg weisen
werde
ich.