Aufbruch und Ablösung

von Max Götz

1. Entfremdung

 

Ich meide ihn, will mich nicht sehen,
weil ich es nicht ertrage.
Doch trifft mein Blick den Spiegel,
stell ich mir eine Frage:

 

„Was bleibt von dem, der du mal warst?“
– „Ich kann es dir nicht sagen.
Das meiste ging, kam nicht zurück,
drum lass das dumme Fragen!“

 

Deswegen guck ich nicht mehr hin,
dann kann ich mich nicht sehen.
Muss meinem Gegenüber nicht
die Leere eingestehen.

 

Denn schlimmer noch als all das Leid
ist dieser leere Blick.
Ein Loch er in die Brust mir reißt,
dass ich fast dran erstick.

 

Zu sehen, dass ich mich nicht seh,
der Fremdheit standzuhalten,
der Trauer hilflos ausgesetzt,
das Herz würd es mir spalten.

 

So meide ich den Spiegel stets,
umklammer, wer ich war,
verdräng, was ich im Glas würd sehen
– ein fremd gewordnes Paar.

2. Annäherung

 

Es gibt nicht viel auf dieser Welt,
was mich im Inneren berührt
und meine Finsternis erhellt,
mich aus der Nacht ins Leben führt.

 

Doch gibt es diesen einen Platz
an diesem unscheinbaren Ort,
ein Platz mehr wert als jeder Schatz,
an dem ich bin und bin doch fort.

 

Wo Lebensgeister neu erwachen,
gar Trauergeister schlafen gehen,
wenn Trost und Mut gemeinsam lachen
und freudvoll Hoffnungswinde wehen.

 

An diesem Ort, da bin ich wieder,
da scheint es fast, als wär ich da.
Hör meines Geistes Aufbruchslieder
und lass zurück, was mir geschah.

3. Akzeptanz

 

Im Außen so vergänglich
des Menschen Hülle scheint.
Was einst spross überschwänglich,
wird alsbald still beweint.

 

Es welkt des Körpers Hülle,
von Krankheitlast verzehrt.
Die Möglichkeitenfülle
wird in/im Verzicht gelehrt.

 

Was geht, erlahmt im Schritte.
Bescheidenheit kehrt ein.
Bewegung kehrt zur Mitte
zurück und macht sich klein.

 

Zugleich jedoch im Innen
der Freiheitsgeist regiert.
Sein Kompass wie von Sinnen,
zeitlos er navigiert.

 

Sieht zwar die Jahre gehen,
doch davon unberührt
will er sich waghals‘ drehen,
wohin der Wind ihn führt.

 

Mal kreuzen sich die Wege,
man kommt am Strand in Sicht.
Der Leib winkt sanft vom Stege,
der Geist spricht ein Gedicht:

 

„Wenn ich mich auch entferne,
du hier und ich auf See,
sind’s doch die gleichen Sterne,
um die mein Schiff ich dreh.

 

Drum sei nicht traurig, Bruder,
wir treffen uns beim Mond
am Himmel hoch, dort wo der
Erinnerungstraum wohnt.

 

Dann bring ich dir Geschichten
aus aller Welten mit
und will dir treu berichten,
von jedem Wellenritt.“

 

Dann trennen sich die Wege,
allmählich geht die Sicht.
Der Leib winkt sanft vom Stege,
der Geist in Zeitsee sticht.
AufBruch & AbLösung