Meine Welt ist eine andere als deine Welt

von Sabine Tollkühn-Klein

Hallo, mein Name ist Eden.
Ich wurde im letzten Jahrhundert geboren.
Ich war das achte von elf Kindern.

 

Meine Eltern waren sehr streng.
Jeden Tag gab es häusliche Gewalt.

 

Mein Vater kümmerte sich nicht um seine Familie.
Er war oft betrunken und wütend.

 

Unsere Mutter war manchmal aggressiv.
Vielleicht war sie unzufrieden mit ihrem Leben.

 

Auch die großen Geschwister haben ihren Ärger gezeigt.
Sie wussten es nicht besser.

 

Eine Oma wollte helfen.
Meine Eltern wollten ihre Hilfe nicht.

 

Die andere Oma war krank und konnte nicht helfen.
Sie hat den Krieg nicht überwunden.

 

Meine restliche Verwandtschaft hat nicht geholfen.
Sie haben absichtlich weggeschaut.

 

Liebe und Geborgenheit gab es in unserer Familie nicht.
Ich war ein Kind von vielen Kindern in meiner Familie.

 

Bei meiner Einschulung habe ich mich für meinen Namen geschämt.
Meine Familie war bekannt.
Meine Familie war arm.
Wir waren sozial schwach.

 

Es war schwer für mich, Freunde zu finden.
Die anderen Kinder haben mich gemieden.
Sie haben mich gehänselt.

 

Trotz aller Probleme habe ich die Grundschule gut abgeschlossen.

 

Ich wollte auf ein Gymnasium wechseln.
Ich habe mich darauf gefreut.
Aber es hat nicht geklappt.
Die Lehrer*innen sagten, Arbeiterkinder studieren nicht.
Deshalb musste ich auf die Hauptschule.
So war mein Weg: steinig und anders.

 

Um zu verarbeiten, fing ich an zu träumen.
Ich habe schöne Fantasiewelten besucht.
Dort konnte ich fliegen wie Peter Pan.
Ich habe Schurken und Hexen besiegt.
Meine Helden waren die Biene Maya und Pippi Langstrumpf.

 

Ich mied Lärm.
Ich mied die Sonne und grelles Licht.
Ich saß stundenlang in dunklen Räumen, wenn ich traurig war.

 

Aus Angst habe ich vieles zerbrochen und fallen lassen.
Ich bin ein Tollpatsch geworden.
Leute, bringt Geschirr und Flaschen in Sicherheit,
die ungeschickte Eden kommt!

 

Ich habe klassische Musik lieben gelernt.
Ich erinnere mich besonders an „Die vier Jahreszeiten“ von Vivaldi.
Diese Musik gab mir oft Trost in meiner kindlichen Welt.

 

Meine Liebe zur Kunst ist gewachsen.
Ich habe alles bemalt: Zeitungen, Wände, Tische und Stühle.

 

Ich wurde nicht mehr zu Veranstaltungen mitgenommen.
Kirmes und Weihnachtsmärkte wurden mir zu viel.

 

Meine Ehrlichkeit brachte mir oft Probleme.
Viele Menschen mögen keine Ehrlichkeit,
sie wollen belogen werden.
Auf bestimmte Fragen gebe ich bis heute keine Antwort mehr.

 

Mathe und Chemie hatten eine Ordnung.
Ich habe mich in Zahlen vertieft.

 

Bei mir wurde eine Hochton-Schwerhörigkeit festgestellt.
Ich habe schnell Lippenlesen gelernt.
Ich habe Texte laut gelesen, um meine Aussprache zu üben.
Mit meiner Schwerhörigkeit konnte ich leben.

 

Nach dem zehnten Schuljahr wechselte ich die Schule.
Der Schulwechsel war wieder nicht einfach.
Ein Grund war meine Pubertät.

 

Der Hauptgrund war eine Krankheit.
Ich lag lange im Krankenhaus.
Ich hatte viele Fehlzeiten in der Schule und bin deshalb sitzengeblieben.
Ich musste die 11. Klasse wiederholen.

 

Nach 15 Jahren Schule hatte ich meinen Abschluss.
Ich war sehr glücklich, mein Abitur geschafft zu haben.
Meine Eltern waren stolz auf mich.
Ich war das einzige Kind meiner Familie mit Abitur.

 

Jetzt, mit fast 60 Jahren, kann ich über meine Kindheit und Schulzeit reden.
Ich sehe diese Vergangenheit als Teil meiner Biografie.