Als ich dich das zweite Mal traf.

von Dr. Zvonimir Marelja

Es ist schon viel Zeit vergangen, seitdem du mir nicht mehr geschrieben hast und seitdem wir voneinander Abschied genommen haben. Auf der einen Brücke habe ich dich erwartet, auf der anderen Brücke habe ich dich zurückgelassen. Unser Abschied war zu hastig. Ich musste den letzten Zug erwischen, der mich zurück in den Schwarzwald brachte. Du bist zwei Stunden danach Richtung Westen weitergefahren. Auf der Brücke hatte ich keine Zeit mehr mich umzudrehen. Ob du dich nochmal umgedreht hast, fragte ich mich später im Zug. Es war unser erstes Wiedersehen, vielleicht das letzte.


Alles begann vor langer Zeit mit einer Konferenz an der kalifonischen Westküste. Mein Hotel lag nah am Strand; die Luft roch nach Ozean, die Sonne wärmte, Palmen wiegten sich im Wind – wahrlich ein Paradies.


Am Morgen nach meiner Ankunft erhielt ich mehrere Nachrichten auf der Dating-App. Die meisten schrieben mich für Sofortsex an. Normalerweise antworte ich nicht auf Profile ohne Bild, aber deine Nachricht enthielt zwei Fotos: eins mit einem strahlenden Lächeln und Hund, das andere am Strand mit mehr Haut, die eine Lust und Sehnsucht in mir entfachte. Ich antwortete und du schriebst sofort zurück. Es ging hin und her und wir vereinbarten ein Treffen für den Abend nach meinem Konferenztag.


Danach scrollte ich durch die vielen restlichen Profile und bestellte mir ein Sofortsexdate aufs Zimmer. Keine Gefühle, zwanzig Minuten Fleisch bis zum Orgasmus und adieu. Als ich wieder alleine war, duschte ich kurz, zog mich zügig an und eilte zum Konferenzzentrum.


Am Abend nach der Konferenz schrieb ich dir und ging nach draußen zum Pool, um auf deine Antwort zu warten. Sie kam schnell. Wir machten eine Zeit aus und ich schickte dir den Hotelnamen und meine Zimmernummer. Ich blieb noch etwas am Pool und begab mich dann wieder auf mein Zimmer, um etwas Frisches und Attraktives anzuziehen. Pünktlich um 21 Uhr standest du mit einer Flasche Prosecco in der Hand an meiner Zimmertür, dein Lächeln genauso echt wie auf dem Foto.


Damals wusste ich noch nicht, dass mich eine der aufregendsten Nächte meines Lebens erwartete. Wir setzten uns auf das Sofa neben dem Bett, unterhielten uns und tranken den guten Prosecco, bis kein Tropfen mehr übrig war. Die Themen waren zum größten Teil sehr ernst. Wir sprachen über meine Forschung an einer unheilbaren Krankheit, den Konflikt im Nahen Osten, woher du ursprünglich stammtest, unsere gemeinsame Sorge um die Umwelt und das Klima. Trotzdem wollte ich dich berühren. Leicht angetrunken, ohne weiteren Prosecco, nahmst du meine Hand und zogst mich zu Bett. Es war wie auf einer psychedelischen Reise, bei der zwei Körper mit der Umgebung verschmolzen. Wir wollten gar nicht mehr aufhören uns zu küssen und uns zu berühren. Wir blieben dabei lange in unseren Sachen bis wir anfingen uns langsam auszuziehen, erst die Hemden, dann Hosen und Socken, nur die Unterwäsche noch nicht. Nach Stunden voller Leidenschaft – mittlerweile waren wir ganz nackt – wurden wir allmählich ruhiger, pausierten kurz und schliefen schließlich Arm in Arm ein, nur um vor dem Morgengrauen erneut zueinander zu finden. Es war magisch. Unsere Seelen schienen sich zu kennen – aus einer anderen Zeit oder einer anderen Welt. Diesmal waren wir beide sehr erregt und beendeten die lange Nacht mit einem Orgasmus – ohne jegliche Penetration. Dann duschten wir zusammen, zogen uns an und du verließt das Zimmer vor mir. In vollem Höhenflug beschloss ich, dir gleich meine Handynummer zu schicken, doch eine Antwort über WhatsApp kam nicht, auch nicht nach mehreren Stunden. Vielleicht hattest du es übersehen, fragte ich mich. Ich wollte nicht drängeln, schließlich gab es immer noch einen Austausch über die Dating-App. Ich wünschte mir so sehr, dich wieder zu sehen. Dazu kam es aber nicht. Am letzten Morgen nach der Konferenz bestellte ich mir einen Uber, der mich zum Flughafen fahren sollte, von wo ich zurück nach Deutschland fliegen würde. Obwohl ich mir überhaupt keine Hoffnungen mehr machte, verblieben wir weiter sporadisch über die Dating-App in Kontakt. Als der Krieg im Nahen Osten ausbrach, fragte ich dich immer wieder, wie es dir ging. Mal bekam ich eine Antwort, mal nicht. Nach einiger Zeit wurde der Chat ruhiger, bis er schließlich ganz verstummte.


Ein Jahr später, einige Tage nach der Hochzeit eines Freundes in Genf, schrieb ich dir wieder, als ich durch aufkommende Sehnsüchte und Erinnerungen wieder an dich denken musste. Und tatsächlich antwortetest du mir, dass du dich für längere Zeit aus beruflichen Gründen in Genf aufhieltest. Ich fand es lustig, denn hätte ich dir vor der Hochzeit geschrieben, dann hätten wir uns in Genf treffen können, als ich dort war. Ein Wiedersehen schien jetzt unausweichlich. Zwischen Genf und dem Schwarzwald wählten wir als Treffpunkt in der Mitte Basel aus. Uns beiden war die Stadt unbekannt. Ich suchte das Hotel aus und reservierte uns ein Zimmer für eine Nacht.


Einen Monat später erreichte ich Basel circa sechs Stunden früher als du. Ich wollte schon einchecken und das Hotelzimmer sehen, eine Flasche Prosecco kaufen und in den Kühlschrank stellen. Du schriebst mir auf der Dating-App, dass du auf dem Weg warst. Ich hätte dir wieder meine Handynummer anbieten können, aber ich traute mich nicht. Ich zog mich um und begab mich auf den Weg zur Mitte der Wettsteinbrücke, wo ich dich treffen sollte.


Als wir uns auf der Brücke trafen, konnte ich es gar nicht fassen, dass du da warst. Und auf dem Weg ins Hotel begann sich unsere erste Begegnung zu wiederholen, nur auf der anderen Seite der Erde: die ernsten Gespräche zu Beginn, dann der Prosecco, gefolgt von zärtlichen Berührungen und innigen Küssen, die tiefen Blicke. Es war ein Rausch der Sinne, ein Verschmelzen der Seelen, eine kosmische Leidenschaft bis zum kurzen Halbschlaf inmitten der Nacht, Arm in Arm. Am frühen Morgen dann der Orgasmus, diesmal zweimal hintereinander, und wieder das gegenseitige Waschen unter der Dusche. Das einzig Neue war dieses Mal, dass wir noch den ganzen Tag vor uns hatten, um Basel zu erkunden ohne Gehetze wegen irgendwelcher Verpflichtungen. Es war ein traumhafter Tag mit dir, der leider viel zu schnell zu Ende ging. Und schon eilten wir in Richtung Basel Bad Bahnhof, wo mein Zug in Kürze abfahren sollte. Deiner fuhr zwei Stunden später von Bahnhof Basel SBB in die entgegengesetzte Richtung. Mitten auf der alten Mittleren Brücke von Basel dann der hastige und kalte Abschied, nicht zu vergleichen mit der warmen Innigkeit, die wir stundenlang im Hotelzimmer teilten. Meine Schritte wurden schneller, ohne dass ich es wollte, während meine Seele sich sträubte, dich zurückzulassen. Schautest du mir auf der Brücke nach, als ich davoneilte, ohne mich umzudrehen? War das der Bruch, der Grund, dass du mir nie wieder geschrieben und nicht auf meine Textnachrichten geantwortet hattest?


Wieder in der Heimat zurück, sah ich dich noch einige Wochen lang manchmal online auf der Dating-App bis dein Profil plötzlich ganz verschwunden ist. War alles doch nur für Sofortsex? Warst du feige oder doch ein Engel? Ein böses Wort von dir hätte genügt und ich hätte dich aus meinem Leben gelöscht.


Dein stilles Verschwinden lässt mich nicht mehr los, auch heute, zwölf Jahre später, nicht. Fragen kreisen seit jeher in meinem Kopf: War es meine Schuld? Was habe ich falsch gemacht? Ich verstand und verstehe es nicht. Wenn ich doch nur deinen Nachnamen wüsste, vielleicht hätte ich nach dir gesucht, um eine Antwort zu bekommen. Dass du einfach so aus meinem Leben verschwunden bist, konnte mein Herz nie akzeptieren. Die Berührungen, die tiefen, langen Blicke, sie haben meine Seele tanzen lassen. Wir liebten uns so, als liebten wir uns schon in einem anderen Leben. Es war unsere zweite Nacht in einem Hotelzimmer, vielleicht auch die letzte. Was bleibt, ist eine schmerzliche Erinnerung, denn unerfüllte Liebe hört nie auf. Sie hält ein ganzes Leben, wie ein Lied, das ohne Schlussakkord verklingt, aber nie ganz verstummt.

Einfache Sprache

Es ist schon lange her,
dass du mir geschrieben hast.
Auch unser Abschied liegt lange zurück.

 

Auf der einen Brücke habe ich auf dich gewartet.
Auf der anderen Brücke habe ich dich zurückgelassen.

 

Unser Abschied war zu schnell.
Ich musste den letzten Zug in den Schwarzwald erwischen.
Du bist zwei Stunden später weiter in Richtung Westen gefahren.

 

Ich konnte mich auf der Brücke nicht mehr umdrehen.
Im Zug fragte ich mich,
ob du dich noch einmal nach mir umgesehen hast.

 

Es war unser erstes Wiedersehen –
vielleicht auch das letzte.

 

Damals an der Westküste

 

Alles begann vor langer Zeit.
Ich war auf einer Konferenz an der kalifornischen Küste.

 

Mein Hotel lag nah am Strand.
Die Luft roch nach Meer.
Die Sonne war warm.
Die Palmen bewegten sich im Wind.
Es war wunderschön – fast wie im Paradies.

 

Am nächsten Morgen bekam ich Nachrichten über eine Dating-App.
Die meisten wollten nur schnellen Sex.
Normalerweise antworte ich nicht auf Profile ohne Bild.

 

Aber deine Nachricht hatte zwei Fotos:
Auf einem hast du gelächelt – mit deinem Hund.
Auf dem anderen warst du am Strand, mit mehr nackter Haut.
Beides weckte in mir Sehnsucht.

 

Ich antwortete dir – und du schriebst sofort zurück.
Wir tauschten Nachrichten aus
und verabredeten uns für den Abend.

 

Später sah ich mir noch andere Profile an
und bestellte mir ein schnelles Sex-Date ins Hotelzimmer.
Kein Gefühl, nur 20 Minuten Sex – und dann war er wieder weg.

 

Ich duschte, zog mich an und ging zur Konferenz.

 

Unser erstes Treffen

Am Abend nach der Konferenz schrieb ich dir wieder.
Ich ging zum Pool und wartete auf deine Antwort.

 

Sie kam schnell.
Wir machten eine Zeit aus.
Ich schickte dir Hotelname und Zimmernummer.

 

Ich zog mich schön an
und wartete in meinem Zimmer.

 

Pünktlich um 21 Uhr klopftest du an.
In deiner Hand: eine Flasche Prosecco.
Dein Lächeln war genauso echt wie auf dem Foto.

 

Damals wusste ich nicht,
dass eine der aufregendsten Nächte meines Lebens vor mir lag.

 

Wir saßen auf dem Sofa,
redeten lange
und tranken den ganzen Prosecco leer.

 

Wir sprachen über ernste Themen:
meine Forschung zu einer unheilbaren Krankheit,
den Krieg im Nahen Osten – deine Herkunft,
unsere Sorgen um Umwelt und Klima.

 

Und trotzdem wollte ich dich berühren.

 

Du warst leicht angetrunken
und zogst mich zu dir ins Bett.

 

Es war wie eine Reise ohne Raum und Zeit.
Unsere Körper verschmolzen.
Wir küssten und berührten uns stundenlang –
erst mit Kleidung,
dann zogen wir uns langsam aus.
Nur die Unterwäsche blieb länger an.

 

Am Ende waren wir ganz nackt,
wurden ruhiger,
pausierten
und schliefen Arm in Arm ein.

 

Kurz vor Sonnenaufgang fanden wir wieder zueinander –
ohne Penetration,
aber mit einem gemeinsamen Orgasmus.

 

Wir duschten zusammen.
Dann zogst du dich an und gingst.

 

Ich war im Rausch.
Ich schickte dir sofort meine Handynummer.
Aber du antwortetest nicht –
auch nicht nach Stunden.

 

Vielleicht hattest du es übersehen?
Ich wollte dich nicht drängen.
Wir konnten ja noch über die App schreiben.

 

Ich hoffte sehr, dich wiederzusehen.
Aber es kam nie dazu.

 

Spätere Kontaktversuche

 

Am letzten Morgen bestellte ich ein Uber.
Es brachte mich zum Flughafen –
zurück nach Deutschland.

 

Wir schrieben noch ab und zu über die App.
Als der Krieg im Nahen Osten ausbrach,
fragte ich dich öfter, wie es dir ging.

 

Manchmal kam eine Antwort,
manchmal nicht.

 

Dann wurde der Kontakt weniger –
bis er ganz aufhörte.

 

Ein Jahr später in Genf

 

Ein Jahr später war ich auf einer Hochzeit in Genf.
Danach schrieb ich dir wieder.
Die Erinnerungen kamen hoch.

 

Diesmal antwortetest du –
du warst beruflich für längere Zeit in Genf.

 

Ich musste lachen:
Hätte ich dir ein paar Tage früher geschrieben,
hätten wir uns in Genf treffen können.

 

Jetzt war klar: Wir würden uns wiedersehen.

 

Wir suchten einen Ort in der Mitte
zwischen Schwarzwald und Genf –
und entschieden uns für Basel.

 

Ich buchte ein Hotel
und reservierte ein Zimmer für uns beide.

 

Unser Wiedersehen in Basel

 

Ich kam sechs Stunden früher in Basel an.
Ich wollte das Zimmer sehen,
eine Flasche Prosecco kaufen
und sie kaltstellen.

 

Du schriebst mir über die App,
dass du auf dem Weg warst.

 

Ich hätte dir wieder meine Handynummer schicken können,
aber ich traute mich nicht.

 

Ich zog mich um
und ging zur Wettsteinbrücke –
dort wollten wir uns treffen.

 

Als ich dich sah,
konnte ich es kaum glauben:
Du warst wirklich da.

 

Im Hotel wiederholte sich vieles wie damals:
Ernste Gespräche,
Prosecco,
zarte Berührungen,
tiefe Küsse.

 

Wir verschmolzen wieder –
wie zwei Seelen, die sich kannten.
Diesmal schliefen wir nur kurz.
Am frühen Morgen kam ein doppelter Orgasmus,
dann duschten wir zusammen.

 

Neu war nur:
Wir hatten noch den ganzen Tag.

 

Wir erkundeten Basel.
Es war wunderschön.
Aber die Zeit verging viel zu schnell.

 

Bald mussten wir los:
Ich zum Bahnhof Basel Bad,
du zum Bahnhof Basel SBB –
zwei Züge in entgegengesetzte Richtungen.

 

Mitten auf der Brücke
verabschiedeten wir uns.
Es ging schnell und fühlte sich kalt an.
Ganz anders als die Stunden vorher im Hotel.

 

Ich ging schneller, als ich wollte.
Mein Herz wehrte sich,
dich zurückzulassen.

 

Hast du mir nachgeschaut?
War das der Moment,
in dem du entschieden hast,
dich nie wieder zu melden?

 

Der Schmerz bleibt

Wieder zu Hause
sah ich dich noch ein paar Wochen online in der App.
Dann war dein Profil plötzlich weg.

 

War alles nur für schnellen Sex?

 

Warst du feige –
oder warst du ein Engel?

 

Ein einziges böses Wort hätte gereicht,
und ich hätte dich vergessen.

 

Aber dein stilles Verschwinden
lässt mich bis heute nicht los –
auch zwölf Jahre später nicht.

 

Die Fragen bleiben:
War es meine Schuld?
Was habe ich falsch gemacht?

 

Ich habe es nie verstanden.

 

Hätte ich deinen Nachnamen gewusst,
hätte ich dich vielleicht gesucht.
Aber ich konnte dich nie wieder finden.

 

Mein Herz hat es nie akzeptiert.

 

Deine Berührungen,
deine Blicke –
sie haben meine Seele tanzen lassen.

 

Es war, als hätten wir uns schon in einem früheren Leben geliebt.

 

Es war unsere zweite Nacht in einem Hotel.
Vielleicht auch die letzte.

 

Was bleibt, ist Erinnerung.
Schmerzhaft.

 

Denn unerfüllte Liebe hört nie auf.
Sie bleibt ein Leben lang –
wie ein Lied,
das nie ganz zu Ende gespielt wird,
aber ewig nachklingt.